Schachlegende


Ein paar Gedanken für ganz junge Schachspieler

In der berühmten Schachlegende heißt es, dass vor Jahrtausenden ein Brahmane aus Indien dem König von Persien das Schachspiel beibrachte. Als er sich dafür ein Dankesgeschenk wünschen durfte, schlug der Bramahne vor, man sollte ihm ein Reiskorn auf des erste Feld des Schachbretts legen, 2 auf das nächste, 4 auf das dritte usw. bis zum 64. Feld, auf jedes Feld also doppelt so viele Reiskörner wie auf das vorherige. Was der König auch prompt zusagte.

Schade, dass kein zahlenkundiger Finanzminister zugegen war, der dem persischen König diese allzu großzügige Zusage hätte ausreden können! Aber ähnliche Fehler scheinen später immer wieder passiert zu sein, nicht nur beim Schachspielen. So stellte sich erst danach heraus, dass der König sich gewissermaßen verspekuliert hatte. (Schon damals konnten Politiker oft schlecht mit größeren Zahlen umgehen, und es gab noch weder eine EU noch einen Internationalen Währungsfond, die ihnen dann aus der finanziellen Misere helfen und ihren Staat vor dem Bankrott bewahren konnten.)

Unter uns gefragt: Wie viele Reiskörner hätte der König auf das 64. Feld legen müssen? Offenbar die stattliche Zahl 263, also 2 x 2 x 2 x... ... ...x 2, ein Produkt aus 63 Faktoren, die alle gleich 2 sind. Ich möchte dies die Schachbrettzahl nennen.

Wie kann man sie berechnen? Wer einen genügend starken Computer hat, wird mit wenigen Klicks das Ergebnis erhalten können. Es kommt die riesige Zahl 9 223 372 036 854 775 808 heraus.

So weit, so gut. Doch wurde ich neulich von einem Bekannten im Auftrag seines 6-jährigen Sohnes gefragt, wie man die Schachbrettzahl ohne Hilfsmittel selbst berechnen kann. Dazu die folgenden Gedanken, die vielleicht auch für ehemalige Schüler, also für Erwachsene geeignet sein mögen.

Die primitivste Methode würde darin bestehen, ein Blatt kariertes Papier zu nehmen und auf die erste Zeile rechts 1 zu schreiben, darunter 2, darunter 4 usw., also jeweils zu verdoppeln und in jeder Zeile die Ziffern von rechts nach links einzutragen, so wie sie sich beim Multiplizieren ergeben. Auf der 64. Zeile erhält man nach ein paar Minuten das erwähnte Ergebnis.

Wie aber lässt sich diese Rechnung etwas eleganter durchführen, wenn man vielleicht schon etwas über die Grundschule hinaus ist? Dazu folgende Anregung, bei der die soeben erläuterte Rechnung in Sprüngen von jeweils 10 Zeilen durchgeführt wird:

1. Schritt

Dass 210 = 1024 ist, weiß heute eigentlich jeder auswendig ( 1 Kilobyte = 1024 Byte). Wenn nicht, dann kann man im Kopf durch fortlaufende Verdoppelung die ersten 10 Potenzen von 2 ausrechnen: 2, 4, 8,16, 32, 64,128, 256, 512, 1024.

2. Schritt

Man rechne nach, wie in der Grundschule gelernt, dass

220 = 1024 x 1024 = 1048576

ist. Wer das zu primitiv findet, weil er schon das Gymnasium besucht, der kann auch so rechnen:

(1000 + 24)2 = 10002 + 2x1000x24 + 242 = 1000000 + 48000 + 576 = 1048576

Diese Methode hat den Vorteil, dass sie sich im Kopf anwenden lässt, zumindest wenn man, wie zu meiner Schulzeit üblich, die kleineren Quadratzahlen wie 242 = 576 auswendig kennt. Natürlich muss man auch wissen, dass

(a + b)2 = a2 + 2ab + b2

ist, um hier automatisch a = 1000 und b = 24 einzusetzen, wie soeben geschehen. (Der berühmte Italiener Binomi lässt grüßen).

3. Schritt

Nun rechne man - wieder nach der Grundschulmethode - nach, dass

230 = 220 x 210= 1048576 x 1024 = 1073741824

ist. Beim Aufschreiben kann man sich hier bekanntlich zwei Zeilen sparen, indem man bei der Multiplikation mit 1 den ersten Faktor gleich so verwendet, wie er bereits dasteht. Für die Multiplikation mit 0 braucht man überhaupt nichts hinzuschreiben, und nur für die Muliplikation mit 2 muss man dann, von der letzten Ziffer des ersten Faktors aus, um zwei Stellen weiter rechts anfangen. Dass Schema sieht dann so aus:

1048576 x 1024
   2097152
     4194304
1073741824.

Dabei hat man die letzte Zahl erhalten, indem die drei Zahlen darüber, von rechts nach links fortschreitend, addiert hat.

Natürlich können Binomi-Freaks auch hier wieder nach der Binomial-Methode vorgehen:

230 = (210)3, also

(1000 + 24)3 = 10003 + 3 x 10002 x 24 + 3 x 1000 x 242 + 243

= 1000000000 + 72000000 + 3 x 576000 + 13824

= 1000000000 + 72000000 + 1728000 + 13824

= 1073741824.

Dies ergibt sich, weil die dritte Potenz einer Summe a + b von zwei Zahlen (hier wieder mit a = 1000 und b = 24 anzuwenden), sich immer in der Form

(a+b)3 = (a+b)2 x (a+b) = (a2 + 2ab + b2) x (a+b)

= a3 + 2a2b + ab2 + a2b + 2ab2 + b3

= a3 + 3a2b + 3ab2 + b3

berechnen lässt. Diese Methode mag hier etwas umständlich wirken. Doch hat sie den Vorteil, dass man sie auch dann im Kopf nachvollziehen kann, wenn – wie bei mir – das Gedächtnis nicht mehr zur längeren Speicherung von Zwischenergebnissen ausreicht. Jedenfalls habe ich diese Kopfrechnung so schon einmal während einer einsamen Autofahrt erfolgreich ausprobiert, genau wie hier angegeben, und bin auf das richtige Ergebnis von 1 073 741 824, also 1 Gigabyte, gekommen.

4. Schritt

Analog zum letzten Schritt erhält man

240 = 230 x 210 = 1073741824 x 1024 = 1099511627776.

Das Rechenschema zieht diesmal so aus:

1073741824 x 1024
   2147483648
     4294967296
1099511627776.

Zur Methode sei noch bemerkt, dass man bei der grundschulgemäßen Multipli­ka­tion mit den zwei eingesparten Zeilen, wie oben vorgeführt, sogar noch das Multiplizieren mit 4 dadurch umgehen kann, dass man einfach die bereits bei der Multiplikation mit 2 erhaltene Zeile nochmals verdoppelt, also rechts in der Zeile beginnt mit „2x8 = 16...“ und die Endziffer 6 aufschreibt. Daher kann jemand diese ganze Rechnung auch dann nachvollziehen, wenn er vielleicht von einer Sonderschule kommt, wo er zwar gelernt hat, wie man eine Zahl verdoppelt, aber nicht, wie man sie mit höheren Faktoren, z.B. mit 4, malnimmt. So lässt sich dieser 4. Schritt ohne Überstürzung in etwa einer Minute schaffen.

5. Schritt

Nach demselben Schema erhält man

250 = 240 x 210 = 1099511627776 x 1024 = 1125899906842624.

6. Schritt

Nochmals die gleiche Prozedur:

260 = 250 x 210 = 1125899906842624 x 1024 = 1152921504606846976.

7. Schritt

Wir wollen ja die Schachbrettzahl 263 berechnen, also, da 23 = 8 ist,

263 = 260 x 23 = 1152921504606846976 x 8 = 9 223 372 036 854 775 808.

Auch hier kann, wie gesagt, ein Sonderschüler oder Schulabbrecher, dem die Multiplikation mit 8 zu schwer ist, stattdessen dreimal nacheinander mit 2 malnehmen, d.h. dreimal verdoppeln.

Übrigens: Man liest die Schachbrettzahl wie folgt:

9 Trillionen

223 Billiarden

372 Billionen

36 Milliarden

854 Millionen

755 Tausend

808

Zur Größenordnung der Schachbrettzahl

In der Statistik würde man, wenn es nur auf die Größenordnung ankommt, von rechts beginnend, auf die meisten Ziffern verzichten, also die Zahl abrunden und vielleicht den handlichen Näherungswert 9,223 x 1018 verwenden. Man bedenke, dass 1 kg Reis etwa 47000, also 4,7 x 104 Körner hat, wie ich durch Abzählen und Wiegen von 517 Reiskörnern nachgeprüft habe (Sie wogen 11 gr). Man bedenke ferner, dass es heute auf der Erde etwa 7 Milliarden, also 7 x 109 Menschen gibt. So würden bei gleichmäßiger Verteilung an die Weltbevölkerung auf jeden Menschen

9,223   x   1018       
7 x 109 x 4,7 x 104

Kilogramm Reis entfallen. Das sind rund 2,8 x 104 kg, also 28 Tonnen. Sollte sich also jemand seinen Anteil ausliefern lassen und die Lieferung mit Lieferwagen von einer Tonne Ladegewicht geschehen, so würde sich vor seinem Haus eine stattliche Kolonne von 28 Wagen einfinden. Ich glaube, so viel Reis könnte nicht einmal ein Chinese vertilgen, der vielleicht in dieser Hinsicht rekordverdächtig wäre.

Kleine Haarspalterei

Manche mögen als Schachbrettzahl nicht die Zahl der Reiskörner auf dem 64. Feld definieren, sondern die Gesamtzahl der Körner auf allen 64 Feldern. Nun sieht man sofort ein, dass auf jedem Feld soviel Reiskörner liegen wie auf allen vorherigen zusammen, plus 1. (Bsp: Auf den ersten drei Feldern zusammen liegen 1 + 2 + 4 = 7 Reiskörner, auf dem nächsten, also dem vierten Feld genau 7 + 1 = 8.) Wer sich dafür interessiert, der kann mit Hilfe eines Schulbuchs wiederholen, dass die geometrische Reihe 1 + 2 + 2² + …. 2n-1 die Summe 2n -1 hat. In dem soeben angegebenen Beispiel wäre n = 3 zu setzen. Um also die Gesamtzahl aller Reiskörner auf dem Brett statt unserer Schachbrettzahl zu erhalten, muss man den oben erwähnten Wert verdoppeln (so viele Reiskörner kämen sozusagen auf das 65. Feld) und dann 1 abziehen, was offensichtlich 18 446 744 073 709 551 615 ergibt. In manchen Schachbüchern wird (statt unserer Schachbrettzahl) diese Zahl in Verbindung mit der Schachlegende genannt, so bei L. Pachmann, Schach für alle.

Viel Spaß beim Nachrechnen!

  Bodo Volkmann