Baden-Württembergische Senioren-Einzelmeisterschaften 2023 in Bad Herrenalb


Diese Meisterschaft wurde von 2003-2020 traditionell in Freudenstadt durchgeführt. 2021 kam es dort jedoch zu einer sprunghaften Erhöhung der Saalmiete, die Turnierleitung sah sich gezwungen nach einem alternativen Austragungsort zu suchen. Dieser wurde 2022 in Bad Herrenalb gefunden. Landschaftlich schön gelegen, direkt an der Grenze von Württemberg und Baden. Der Turniersaal macht was her und kann bis zu 200 Teilnehmer fassen.

Neben dem Austragungsort hat sich auch die Altersklasse geändert, man ist zurückgekehrt zu 60+. Ein Kommentar zur Suche nach den passenden Altersklassen bei den Senioren am Ende dieses Berichtes.

Turniersaal Blick in den Turniersaal von Bad Herrenalb

Bei diesem Turnier verfolgte ich online die Schlussrunde. Unter den 10 live Partien klickte ich dabei immer mal wieder auf die meines Vereinskollegen Hartmut Schmid. Sein Gegner versuchte einen Durchbruch, Hartmut behielt aber den Überblick und gewann im Konter. Später dann ein Telefonat. Anlass um dazu ein paar Zeilen zu schreiben war aber vor allem dieser gnadenlose Endspurt mit 4 aus 4! Etwas was man in der 2.Turnierhälfte eher von Jugendspielern kennt….

Zum Turnier gab es 131 Anmeldungen, ans Brett fanden letztlich 126 Spieler. Die Favoritenliste wäre wohl noch etwas länger gewesen, wenn nicht schon 2 Tage nach Turnierende die deutschen Senioren Einzelmeisterschaften in Bad Wildungen begonnen hätten.

Hartmut Schmid war diesmal einziger Vertreter der Stuttgarter Schachfreunde. Nach einem mäßigen Start und einer Niederlage in Runde 5 meinte er zu seiner Frau „Jetzt könnten wir eigentlich heimfahren“. Dies war aber gleichzeitig der Auftakt zu einem vom Ergebnisdruck befreiten Aufspielen: wenig Abtauschen, möglichst die Spannung aufrecht erhalten und jedes Spiel fertig spielen! Meist gewinnt man ja nicht mit einer schönen Kombination sondern weil der unter Druck stehende Gegner anfängt Fehler zu machen.

Diagramm 1: Hartmut Schmid – Martin Pfrommer, Stellung nach 28.Tf7, Runde 8

Diagramm 1

Ein Stimmungsbild aus Runde 8. Der Gegner, mit einer DWZ von 1961 durchaus ebenbürtig, hat zwar auch zu dieser Stellung beigetragen, stand das Spiel doch noch 10 Züge zuvor ausgeglichen. Wie man sieht ist Schwarz hier inzwischen aber völlig paralysiert und gab wenig später auf.

Diagramm 2: Uwe Bräuner - Hartmut Schmid, Stellung nach 33...h4, Runde 9

Diagramm 2

Auch hier war die Stellung 10 Züge zuvor noch ausgeglichen. Das langwierige Ringen ums Gleichgewicht versuchte Weiß mit einem Durchbruch der Bauern am Königsflügel zu beenden und überzog dabei. Die Diagrammstellung bewertet der Computer bereits mit +4 für Schwarz, mit 34.Dc3 könnte Weiß das Ende nur noch hinauszögern. In der Partie folgte 34.Lg4 Td3 35.Dh2 Tg3+ 36.Tg2 Txg4 und Weiß gab auf.

Damit kam Hartmut Schmid auf den 10.Platz, nur einen halben Punkt hinter dem Turniersieger! Die 3 besten Nestoren (75+) erreichten alle 6,5 Punkte. Nach Buchholz-Wertung siegten Manfred Harringer (Bergische Sfr) vor Fedor Dushatskiy (Rochade Neuenstadt) und Hartmut Schmid (Stuttgarter SF). Die zwei Konkurrenten sind in diesem Jahr gerade in die Gruppe der Nestoren gerutscht.
Gratuliere Hartmut, mit knapp 84 Jahren eine bemerkenswerte Leistung!

Hartmut (vorne rechts) in Endspurt-Stimmung! Hartmut (vorne rechts) in Endspurt-Stimmung!

Hier geht es zu den Ergebnissen bei chess-results

Auf der Homepage des Veranstalters findet man unter „Downloads“ die Rundenbulletins

Vorschau auf die Mannschaftsmeisterschaft der Landesverbände

Diese findet vom 13.8.23 – 19.8.23 in Böblingen statt! Die Stuttgarter Schachfreunde sind dabei gut vertreten, nach bisherigem Stand spielen Dieter Migl in der 50+ Mannschaft, Rolf Fritsch in der 1.Mannschaft 65+, Josef Gabriel und Walter Wolf in der 2.Mannschaft 65+.

Und hier noch der Kommentar zur Suche nach dem passenden Mindestalter für Seniorenturniere:

Rückkehr zur Altersgrenze 60+ bei den BW Senioren-Einzelmeisterschaften

Bis 2016 galt in Deutschland bei Seniorenturnieren ein einheitliches Mindestalter von 60 Jahren, bei den Damen war das Mindestalter 55 Jahre. 2017 beschloss die Seniorenkommission des Deutschen Schachbundes, die Vorgaben der FIDE bezüglich der Altersklassen im Seniorenschach bei offiziellen Meisterschaften umzusetzen.

Seither sind jedoch viele Landesverbände bei ihren Einzelmeisterschaften entweder bei 60+ geblieben, siehe Bayern, oder sind wie jetzt in Baden-Württemberg von 50+ und 65+ wieder zur Altersgrenze 60+ zurückgekehrt.

Als sich die FIDE für die Altersklassen 50+ und 65+ entschied, hatten sie wohl nicht Rentner im Fokus. Sondern – wohlwollend betrachtet – wollte man mit einer niedrigen Altersgrenze von 50 Jahren vielen Ländern den Einstieg in diese Altersklassen überhaupt erst ermöglichen. In Deutschland geschah das Absenken des Mindestalters für Damen auf 55 Jahre ja auch nur wegen der damals geringen Anzahl schachspielender Damen im Rentenalter. Noch deutlicher wird das in Asien sichtbar, wo Schachverbände wie beispielsweise Vietnam, Indien, oder die Türkei zwar in den letzten Jahren eine hohe Mitgliederzahl erreichten, aber kaum Spieler im Seniorenalter haben. In ganz Südostasien konnte ich nur ein einziges 50+ Turnier finden.

Bei uns dagegen entstanden Senioren-Turniere durch Rentner, die sich mit Gleichaltrigen messen wollten. Seit Jahren haben wir die weltweit aktivste Seniorenschach-Szene!

Durch die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er wird in Deutschland der Anstieg Schach spielender Rentner etwa 2030 sein Plateau erreichen. Anstatt die von der FIDE vorgegebenen Altersklassen zu übernehmen, machen bei uns vor diesem Hintergrund die Altersklassen 60+ und 70+ mehr Sinn. Falls man überhaupt in mehr als einer Altersklasse spielen möchte, wie z.B. bei den Senioren im Tischtennis.

Dabei bleibt abzuwarten ob sich zusätzlich eine Altersklasse 50+ etablieren kann, das Interesse der 50-59 jährigen war in den letzten 5 Jahren noch sehr verhalten.

Würde man in Bad Herrenalb mit der diesjährigen Teilnehmerliste in den Altersklassen 60+ und 70+ spielen, so hätte man zwei gleich große Gruppen. Wir haben also eine völlig andere Altersstruktur als viele Länder außerhalb Europas. Zu Bedenken ist auch, dass ein Turnier in mehreren Altersklassen höhere organisatorische Anforderungen an die Turnierleitung stellt.

Man kann sich ja mal selber fragen was man geantwortet hätte, wäre man vor dem Beginn der Diskussion um Altersklassen gefragt worden
„welche Altersklassen im Seniorenschach halten sie zukünftig für sinnvoll?“

One size fits all - Eine Größe passt Allen? Mein Fazit: Ja auf internationaler Ebene, auf nationaler Ebene sollte man die lokalen Bedingungen berücksichtigen. Wie jetzt in Bad Herrenalb geschehen.

  Walter Wolf, Juli 2023

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