Respekt vor dem Bruder?!


Auch wenn sie nicht in Bestbesetzung antreten konnte, war die Dritte natürlich Favorit. Insofern verwundert das Ergebnis des Bruderkampfes nicht, wohl aber der Weg dorthin.
An Brett 1 konnte Volodymyr Viskin alle Drohungen parieren und mit Schwarz Hartmut Schmid vorzeitig ein Remis abtrotzen - eine starke Leistung! Wolfgang Bareiß an 2 kämpfte lange im Endspiel Läufer gegen Springer mit einem Bauern weniger, doch Neu-Schachfreund Martin Hofmann verwertete den Vorteil konsequent in der Verlängerung. Nicht ganz so lange hielt Herbert Lutz stand: Er ließ sich den Turm auf a8 schlagen, konnte die weiße Dame aber nicht dauerhaft einsperren und musste gegen Matthias Strobel noch im Mittelspiel die Segel streichen. Tragisch der Verlust von Jürgen Hartlieb, der diesmal Brett 4 spielte: Seine Partie gegen Oskar Mock war völlig offen, als er mit dem 40.Zug einen Abzugsangriff des Läufers auf seine Dame übersah und von einem Zug zum nächsten aufgeben musste. Damit erzielte die Vierte aus der vorderen Hälfte nur einen halben Zähler.
Hinten sah es bedeutend besser aus: Enhkjargal Budjav an Brett 6 präsentierte sich erneut in bester Spiellaune und gewann gegen Sotirios Stavridis überzeugend im Königsangriff = 2. Punkt im 2. Spiel! Offensiv gestimmt war auch MF Harald Wohlt an Brett 7, der Sascha Schulze erst 2 Bauern und dann eine Figur abnahm. Im Ersatzspieler-Duell an Brett 8 trat Routinier Hans Sax für die Vierte an. Im Turmendspiel gegen Leonid Kanter konnte er den Bauernvorteil aber nicht verwerten, sein junger Gegner erwies sich als ebenbürtig - ein ausgekämpftes Remis, aber nicht die längste Partie des Tages.
Diese entspann sich wider Erwarten an Brett 5. Der Schreiber hatte sich gegen Harald Schröter schon in der Eröffnung auf eine Springerfesselung eingelassen, verrechnete sich und verlor das Tier ersatzlos - da konnte man auch gleich noch einen Läufer hinterheropfern, um wenigstens noch ein bisschen im Trüben zu fischen...Tatsächlich reichte das Gegenspiel, um bis zur Zeitkontrolle eine Figur zurückzugewinnen, aber das Endspiel Dame gegen Dame und Springer bei gleichen Bauern war natürlich immer noch haushoch verloren. In der Folge übersahen beide Seiten (aber nicht die Kiebitze!) eine hübsche Gewinnfortsetzung mit Damenscheinopfer und anschließender Springergabel. Stattdessen schlug Harald den falschen Bauern, verlor den Springer zurück und es wurde plötzlich spannend - zu dem Zeitpunkt stand es 3 : 4 gegen die Vierte, ein Sieg hätte sogar noch den unverhofften Ausgleich gebracht. Konsequenter Weise lehnte ich Remis ab, gewann noch einen Bauern und mit Dame und 3 Bauern gegen Dame und 2 Bauern wähnte ich mich auf der Siegerstraße, da der Freibauer auch noch ein entfernter war.
Was dann passierte, verursachte den Zuschauern wahrscheinlich physische Schmerzen. War es meine notorische Endspielschwäche, ein Konditionseinbruch nach fast 6 Stunden Spielzeit oder womöglich doch der unbewusste Wunsch des Spielleiters, die Dritte aufsteigen zu sehen? Wie auch immer, Fakt ist, dass ich in der Blitzphase binnen Sekunden einen Bauern einstellte, Damentausch zuließ und dem Gegner einen Freibauern verschaffte, der schneller war als meiner - so endete die Partie an Brett 5 doch noch so, wie sie begonnen hatte, mit einem klaren Sieg für Harald Schröter! Der andere Harald (MF Wohlt) musste alles mit ansehen, äußerlich bewahrte er stoische Gelassenheit, man kann nur spekulieren, was in ihm vorging...
Kommentar von Ullrich Seibel, der das Drama als Kiebitz verfolgte und von letzter Saison ja einiges gewohnt ist: "Die spielen Schach als Glücksspiel." Dem ist nichts hinzuzufügen, aber immerhin haben wir den Zuschauern eine einmalige Show geboten!

F. Siegle